Agile ist nicht tot – es ist das neue Normal!
Die ständigen „Agile ist tot“-Posts sind meist Ausdruck von Frustration. Viele Unternehmen haben sich schwergetan, Agile wirklich zu meistern, und scheitern oft nicht an der Methode, sondern an ihrem eigenen Mindset, ihrer Organisationsstruktur und Führungskultur. Doch wenn wir die letzten 20 Jahre betrachten, zeigt sich deutlich: Agile hat die Art, wie wir arbeiten, grundlegend verändert – und das bleibt.

Wie Agile die Arbeitswelt verändert hat
1. Kontinuierliche Verbesserung als Standard
Früher: Reflexionen gab es kaum, ausser in Form von Post-Mortems am Ende eines gescheiterten Projekts. Fehler wurden dokumentiert, aber es änderte sich wenig.
Heute: Retrospektiven und regelmässige Lernschleifen sind der Standard – in Teams, Abteilungen und sogar auf Unternehmensebene. Es ist normal geworden, alle 1–2 Wochen zu hinterfragen: Was können wir besser machen?
2. Echte Kundenzentrierung statt Annahmen
Früher: Produkte wurden über Jahre entwickelt, basierend auf Annahmen und Business Cases – ohne echten Kundenkontakt.
Heute: Customer Feedback ist integraler Bestandteil der Produktentwicklung. Ob über MVPs, regelmässige Nutzerinterviews oder datengetriebenes Lernen – der Kunde ist heute mitten im Prozess.
3. Planung ist kollaborativ, nicht Top-Down
Früher: Der Chef oder das PMO legten fest, was zu tun ist – Teams mussten es umsetzen.
Heute: Agile Teams planen selbst mit. Scrum Plannings, PI-Plannings oder Flight Level Initiativen zeigen: Planung ist ein gemeinschaftlicher Prozess – die Menschen, die die Arbeit machen, sind beteiligt.
4. Messen von Leistung ist transparenter und sinnvoller
Früher: Erfolg wurde an Zeitplänen und Budgets gemessen – egal, ob das Produkt am Ende einen Mehrwert hatte oder nicht.
Heute: OKRs, Flow Metrics, Outcomes statt Outputs – Erfolg wird daran gemessen, ob wir einen echten Unterschied für Kunden und Unternehmen machen.
5. Führung ist ein Enabler, nicht ein Kontrolleur
Früher: Manager haben Arbeit delegiert und kontrolliert.
Heute: In agilen Organisationen coachen, fördern und entfernen Führungskräfte Hindernisse, statt nur zu steuern. Servant Leadership ist das neue Ideal.
6. Transparenz über den Arbeitsprozess
Früher: Niemand wusste genau, woran andere Teams arbeiteten – Silos waren normal.
Heute: Dank Kanban-Boards, Sprint Reviews, Big Room Plannings und Flight Levels ist Transparenz die Norm.
7. Time-to-Market ist dramatisch gesunken
Früher: Grosse Releases alle paar Jahre waren normal.
Heute: Continuous Delivery, DevOps und inkrementelle Releases ermöglichen es, Produkte innerhalb von Tagen oder Wochen auf den Markt zu bringen.
8. Fehlerkultur ist akzeptierter
Früher: Fehler waren etwas, das vertuscht wurde – oder schlimmer, bestraft.
Heute: Fail fast, learn fast ist Standard. Unternehmen wie Google, Amazon oder Spotify haben gezeigt: Wer schneller lernt, gewinnt den Markt.
9. Die ganze Organisation wird agiler – nicht nur IT
Früher: Agile war eine Nischenmethode für Software-Entwicklung.
Heute: HR, Marketing, Sales, Controlling – alle nutzen agile Prinzipien in irgendeiner Form. Business Agility ist der neue Wettbewerbsfaktor.
10. Agile ist überall integriert – auch in klassisches PM
Früher: Es gab eine harte Trennung zwischen klassischem PM und Agilität.
Heute: Hybride Ansätze wie SAFe, Disciplined Agile oder Flight Levels zeigen, dass agile Prinzipien überall eingebaut werden.

Die wahre Herausforderung: Kultur, Zusammenarbeit und Machtverteilung
Agile Methoden haben nicht nur Prozesse und Strukturen verändert, sondern auch die Art, wie Menschen miteinander arbeiten. Doch diese Entwicklung ist nicht völlig neu – wir haben bereits Vorreiter, die zeigen, was möglich ist:
- Haier mit seinem dezentralen Unternehmensmodell, das klassische Hierarchien aufgelöst hat.
- Spotify mit seinem Squad-Framework, das Teamautonomie in den Mittelpunkt stellt.
- Buurtzorg in der Pflegebranche, das auf selbstorganisierte Teams setzt.
- Handelsbanken, die zentrale Steuerung auf ein Minimum reduziert haben.
Doch genau hier scheitern viele Unternehmen. Sie haben zwar Scrum eingeführt, aber ihre Machtstrukturen, ihre Kommunikationsmuster und ihre Kultur sind unverändert geblieben. Sie arbeiten agil in einer nicht-agilen Organisation.
Warum?
Weil man nicht erkannt hat, dass echte Agilität nicht nur Prozesse betrifft, sondern auch das soziale System. Weil man nicht gedacht hat, dass eine Investition in Menschen und Zusammenarbeit sich auszahlen könnte. Weil es unbequem ist, bestehende Machtverhältnisse zu hinterfragen.
Doch die Zeit des Zögerns ist vorbei. Wir stehen mitten in einem disruptiven Wandel. Kanadas Premierminister Justin Trudeau formulierte es treffend:
„Die Welt verändert sich in einem Tempo, das sie nie wieder so langsam wie heute sein wird.“
Mit KI, Robotik und Automatisierung stehen wir an der Schwelle zu einer neuen Ära. Unternehmen, die ihr Schiff nicht schon seetüchtig gemacht haben, werden im kommenden Sturm erkennen, ob ihr alter Tanker noch schwimmt – oder ob sie in den Wellen untergehen.
Jetzt ist es Zeit für den nächsten Schritt:
- Neue Formen der Zusammenarbeit jenseits der agilen Methoden.
- Neue Kommunikationsstrukturen, die Transparenz und Offenheit fördern.
- Eine bewusste Entwicklung der Organisationskultur hin zu mehr Vertrauen, Eigenverantwortung und Innovation.
- Eine Neudefinition von Leadership, bei der Führungskräfte zu Begleitern und Ermöglichern des Wandels werden.
Fazit: Agile ist nicht tot – aber es braucht den nächsten Evolutionsschritt
Agilität hat sich durchgesetzt, aber sie allein reicht nicht mehr aus. Die nächste Welle der Transformation betrifft Menschen, Kultur und Machtverteilung.
- Schafft Räume für echte Kollaboration – nicht nur für Prozesse.
- Entwickelt eure Führungskräfte zu Ermöglichern, nicht zu Kontrolleuren.
- Hinterfragt bewusst die Machtstrukturen in eurer Organisation.
- Behandelt Kultur nicht als Nebensache, sondern als entscheidenden Erfolgsfaktor.
Agile hat die Art verändert, wie wir arbeiten. Jetzt ist es an der Zeit, die Art, wie wir zusammenarbeiten, weiterzuentwickeln. Wer diese Chance nutzt, wird die Zukunft mitgestalten. Wer sie ignoriert, bleibt in der Vergangenheit stecken.